Der Erbe

Bin ich der größte Glückspilz der Welt? Ständig bekomme ich Nachrichten von arabischen Prinzen und britischen Witwen, die mir ihr Vermögen vermachen wollen. Warum also noch arbeiten?

Von Sebastian Binder


Das Internet ist einfach ein wunderbarer Ort. Neben all der tollen Musik, und Filmen, und Pärchen, die sich lieben, und Informationen, Gott, so viele Informationen, und Gemeinschaft, und Austausch, und nie allein sein, und immer beobachtet werden, und… Naja, neben alle dem eben, was sowieso jeder kennt, gibt es jetzt sogar immer mehr Leute, die mir Geld schenken wollen. Einfach so. Sie schreiben mir per Mail oder ich lerne sie in den Kommentaren von Facebook und Instagram kennen. Zunächst zerreißt es mir natürlich erstmal das Herz, denn all diese netten, freundlichen, großzügigen Menschen haben ein äußerst schweres Schicksal zu tragen: Sie sind schwer krank, ihnen bleibt nicht mehr viel Zeit auf unserer schönen Erde, daher müssen sie ihre Angelegenheiten regeln und zwar sofort. Als wäre das nicht schon schlimm genug, sind sie auf ihren letzten Metern auf diesem Planeten auch noch ganz allein, keine Familie, die sich um sie kümmert, keine Freunde, die sie besuchen.

Sein ganzes Geld verschenken macht Freude

Was nützt einem da noch das ganze Geld, das auf der Bank vor sich hinschimmelt, Glück kann man sich nun einmal nicht kaufen, wie auch der allwissende Volksmund nicht müde wird zu erzählen. Die traurige Wahrheit ist jedenfalls, dass weit und breit niemand zu sehen ist, der all das schimmlige Geld haben möchte. Gut, nun nun wäre womöglich der Gedanke naheliegend, dass man es ja irgendeiner Wohltätigkeitsorganisation vermachen könnte, die dann hungernden Kindern oder Menschen, die in Zeltstädten leben, hilft. Aber halt! Kann man sich wirklich sicher sein, dass das Geld auch bei diesen Menschen ankommt? Der Prinz und die Witwe sagen „Nein!“, daher ist es deutlich befriedigender, das Geld irgendwelchen Leuten zu schenken, die ebenfalls dieses Internet nutzen. Macht Sinn, oder?

Millionen und Abermillionen, (fast) ohne etwas tun zu müssen

Nun gehöre ich glücklicherweise zu diesen wenigen Milliarden Menschen, die ab und an im Internet unterwegs sind und wie es der Zufall will, habe ich den Prinz und die Witwe kennengelernt, die mich, ausgerechnet mich dazu erkoren haben, ihr Erbe anzutreten. Die Witwe hat nur etwas über 600.000 Pfund auf ihrem Konto, worüber ich mich jedoch nicht beschweren will, denn ihr kennt ja die Geschichte mit dem Gaul und den Geschenken, oder? Der Prinz hingegen, hui, also was der Prinz mir geben will, das verrate ich an dieser Stelle lieber nicht, denn ich schäme mich fast ein bisschen dafür, eine derart gigantische Summe anzunehmen. Aber eben nur fast. Fakt ist, dass ich in Kürze ziemlich reich sein werde, nicht weil ich besonders qualifiziert, clever oder fleißig bin. Sondern einfach nur, weil ich ein Glückspilz bin… der es zumindest auch ein bisschen verdient hat, das erzähle ich mir wenigstens abends gern vor dem Spiegel.

Bis auf: Alle Daten preisgeben und eine kleine Gebühr überweisen

Nun wollt ihr sicher wissen, wie ihr ebenfalls ohne Stress an so viel Geld kommen könnt. Das ist im Prinzip ganz leicht: Ihr schickt dem Prinzen und der Witwe einfach alle eure Daten, dann überweist ihr ihnen eine kleine (ok, so klein war sie gar nicht) Bearbeitungsgebühr, da sie von ihrem Vermögen gerade keine Beträge abheben können, und dann heißt es: Voller Vorfreude warten, bis der Geldregen auf das eigene Konto einprasselt.

Ich warte nun schon seit gut vier Wochen, aber der Geldregen muss nun jeden Tag eintreffen. Ebenfalls voller Vorfreude und selbstverständlich voller Dankbarkeit habe ich dem Prinzen und der Witwe vorgestern noch einmal eine Mail geschrieben, die sie zwar bislang nicht beantwortet haben, aber auch hier muss die Antwort jeden Tag kommen.

Ich habe meinen Job bereits gekündigt und ein Auto gekauft, vielleicht tingel ich die nächsten Monate einfach ein bisschen durch die Welt, ehe ich mir ein Haus am See leiste und überlege, was ich als nächstes mit all meinem Geld tun könnte.

Was bin ich doch für ein Glückspilz. Und ja, ein bisschen Cleverness gehört natürlich dazu…